PERSPEKTIVEN EINER SAMMLUNG | INVENTUR UND VISION

‚Mit raumgreifenden Installationen wie das große, den Gehry-Dom füllende Luftschiff „Papaver“ (2002) des verstorbenen belgischen Künstlers Panamarenko oder die 50 Meter lange Teppicharbeit „Läufer“ (2016) von Nevin Aladağ erhält die Sammlung nach 13 Jahren wieder Einzug in die Gehry-Galerien. Die erste Marta-Schau von Kathleen Rahn zeigt nicht nur ein Stück Ausstellungsgeschichte, durch welche die Sammlung in den letzten Jahren maßgeblich geprägt wurde, sondern findet immer wieder Momente, die eigene Praxis kritisch zu hinterfragen und im Kurs nachzujustieren. Denn auch wenn das Marta Herford ein vergleichsweise junges Museum ist, befinden sich in der Sammlung momentan Werke von 127 Künstlern und 43 Künstlerinnen – ein deutliches Übergewicht männlicher Positionen. Ebenso markant ist, dass es von vielen Künstlern nur einzelne Arbeiten, bzw. Werke aus einer Gruppe gibt. An dieser Stelle setzt die Ausstellung an, um Perspektiven für ein bewusstes Sammeln in der Zukunft anzubieten. In der Konsequenz ist etwa das Geschlechterverhältnis in der Auswahl für diese Schau nahezu ausgeglichen. Darüber hinaus werden die vorhandenen Werke der Sammlung durch weitere Ankaufsvorschläge in Form von Leihgaben ergänzt. Von vier ausgewählten Künstlerinnen, die bereits mit einzelnen Werken in der Sammlung vertreten sind, sind weitere Arbeiten zu sehen, welche die Breite des jeweiligen Œuvre, sowohl in thematischer als auch in materieller Hinsicht eröffnen.
Martha Roslers Videoarbeit „Semiotics of the Kitchen” (1975) gehört zu den ältesten Werken in der Sammlung und ist zudem eine Ikone der feministischen Kunst. Die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist ebenso ein zentrales Thema ihres Werkes wie eine allgemeine Medienkritik. Beides stellt die auch als Theoretikerin und Aktivistin tätige Künstlerin dezidiert in den politischen Kontext ihrer Zeit, wie die Fotocollagen „Cosmic Kitchen“ (1956-72) und „It Lingers“ (1963), ebenso wie die Multimedia-Arbeit „Framing Ethel Rosenberg“ (1988) eindrücklich vorführen.
Von der 2021 verstorbenen, amerikanischen Künstlerin Kaari Upson befindet sich die zunächst rätselhafte Skulptur „Silicone Leftover (5 gal)“ (2015) in der Sammlung Marta. Im Kontext der Videoarbeit „A Place for a Snake“ (2019) und der kurz vor ihrem Tod entstandenen Portraitserie „Portrait (Vain German)“ (2020-21) wird ein bestimmendes Grundmotiv des Gesamtwerks im Spiel mit Dopplungen, Wiederholungen und Abgüssen deutlich. Auch das Herauskehren des Inneren, mal wortwörtlich, mal symbolisch, wird im Vergleich mit der großen Zeichnung „Being Utterly Free“ (2017-18) als Thema erkennbar.
Fragen von Raum und Perspektive sowie Oberflächen und dem, was darunter liegt, beschäftigen die aus Herford stammende und nun in Berlin lebende Künstlerin Asta Gröting schon in der frühen Videoarbeit „Die Schwimmerin“ (1997). Die skulpturalen, durchaus unterschiedlichen neueren Leihgaben in dieser Ausstellung „Reinhardtstraße Stadtbahnunterführung“ (2016) und „Gelée Royale“ (2021) eröffnen weitere Facetten ihrer feinsinnigen Beobachtungen von Oberflächen und Strukturen.
Die Künstlerin Katja Novitskova stellt vor allem das Verhältnis von Mensch, Natur und Technik in den Fokus ihres Werks. So steht im Zentrum der Sammlungsarbeit „Pattern of Activation“ (2018) eine zu einem animalischen Roboterwesen verwandelte Babywiege. Dem gegenüber erscheinen in der Ausstellung die für ihr Werk typischen Aluminiumtableaus der Serie „Approximations“ (seit 2016). Vor dem Hintergrund des drohenden Artensterbens thematisiert sie in ihren Tableaus Biodatenbanken und Genmanipulationen und stellt gleichzeitig die Bedeutung von Bilddatenbanken für das eigene künstlerische Schaffen dar.
Die Inszenierung der Ausstellung legt den Fokus auf Dialoge zwischen den Werken und ermöglicht zugleich einen Einblick in die seit dem letzten Millenniumswechsel geprägte Sammlung von Gegenwartskunst. Bewegung und Transfer, Themen, die in den erst genannten Arbeiten von Panamarenko und Nevin Aladağ eine Rolle spielen, werden etwa von der Konzeptkünstlerin Tamara Grcic aufgegriffen, die in ihren Fotografien die Laderäume von Flohmarkthändlern dokumentiert hat. Die Thematik des öffentlichen Raumes, welcher hier wiederum eine Rolle spielt, ist auch ein Aspekt der Straßen-Fotografien von François-Marie Banier oder der Skulptur „Hanging Buddha“ (2003) des Südafrikaners Kendell Geers.
Fragen von Identität und Rollenbildern sind ein anderes wiederkehrendes Motiv. So etwa im geschlechtsgrenzen überschreitenden Gesamtkunstwerk des Künstlerpaares EVA & ADELE. Darstellungen von Orten der sozialen Gemeinschaft wie Grillfeste oder besetzte Häuser werden in den Werken von Manfred Pernices, Silke Schatz oder Erik van Lieshout bühnenartig inszeniert. Dass Interieurdarstellungen beispielsweise von Wilhelm Sasnal oder Aaron von Arp ebenfalls ihren Weg in die Sammlung des Museums für Kunst, Design und Architektur gefunden haben, belegt der Fokus, welcher aus der Kunst heraus diese Themen ins Zentrum des Interesses stellt. Natürlich ist eine Sammlung auch immer ein Spiegelbild der Zeit und so lädt die Ausstellung auch dazu ein, über die Kunstdiskurse der letzten zwanzig Jahre zu reflektieren.‘

DATUM / ZEIT

09.09.2022 bis 15.01.2023

ORT

Marta Herford gGmbH
Goebenstraße 4-10
32052 Herford
Tel.: 05221 / 99 44 30-0

VERANSTALTER

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